13.574 WuppertalerInnen wählen rechts.

Im Nachgang der dazwischen geschobenen Veranstaltung zum Umgang der radikalen Linken mit den diesjährigen Wahlen am 2. Mai mit Bernhard Sander (die LINKE) im Café Stil Bruch, haben wir uns ein wenig mit den Ergebnissen der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen beschäftigt.

Ein Haufen Zahlen aus Wuppertal

Unabhängig vom Verhältnis der radikalen Linken zum Parlamentarismus müsste die Beschäftigung mit den Ergebnissen einer Wahl Standard radikal linker Politik sein. Nirgends findet sich ein so detaillreiches Bild von der Stadtgesellschaft und den Nachbarschaften wie in den Stimm- und Kommunalwahlbezirken. Es sind Hinweise auf Interventionsmöglichkeiten und -notwendigkeiten und sie helfen dabei, die Stimmungslage auch in den Quartieren einzuschätzen, die nicht zur eigenen Filterblase gehören. Bei der Betrachtung der Ergebnisse der Landtagswahl haben wir uns auf die Kommunalwahlbezirke beschränkt. Wer sich für noch genauere Ergebnisse interessiert, kann sich auf der Seite der Stadt Wuppertal auch das Abstimmverhalten der direkten NachbarInnen im eigenen Stimmbezirk anschauen. Dort kann zum Beispiel nachgesehen werden, ob es im direkten Umfeld Nazis gibt und wenn ja, wie viele.

Das wichtigste Ergebnis zuerst: Die Tatsache, dass die AfD in Wuppertal so gut wie keinen Wahlkampf führte (es gab z.B. gar nicht erst den Versuch der Plakatierung), hat der Zustimmung zur Partei in der Stadt keinen Abbruch getan. Ihr Ergebnis fiel mit 8,51% sogar ein Prozent besser aus als im Landesschnitt. Insgesamt gaben 12.585 Menschen in Wuppertal ihre Stimme der AfD. Mit ihrem Ergebnis liegt die AfD im Tal in zwei von drei Wahlkreisen auch vor der LINKEN. Nur im Wahlkreis Wuppertal II, das ist Elberfeld (mit dem Ölberg und der Nordstadt), konnte die LINKE ein knapp besseres Ergebnis erzielen als die AfD (8,04% zu 7,50%). Für insgesamt 567 WuppertalerInnen war die AfD jedoch noch nicht rechts genug. Sie wählten die NPD. Das waren allerdings 304 Stimmen weniger als 2012. Hinzu kommen andererseits aber 206 Stimmen für die Republikaner und 81 Stimmen für die kriminellen Hardcore-Nazis von „die Rechte“, sowie 134 Stimmen für die „Initiative Volksabstimmung“, die 2012 allesamt nicht zur Wahl angetreten waren.

Anders als die „klassische Rechte“, die am Ölberg nie ein Bein auf den Boden brachte, konnte die AfD auch dort dreistellige Anzahlen an Stimmen einsammeln, wenn auch deutlich weniger als im übrigen Stadtgebiet. Im Kommunalwahlbezirk Hombüchel, in dem die LINKE zweitstärkste Partei noch vor CDU und den Grünen wurde, erhielt die AfD 155 Stimmen (3,89%), 8 Menschen wählten hier zudem die NPD; am Höchsten waren es 161 (5,25%) Stimmen für die AfD, 9 Stimmen für die NPD. Eine Stimme gab es hier für die Nazis von „die Rechte“. Am Ostersbaum wählten 290 Menschen die AfD (8,84%), aber auch 378 die LINKE (11,25%). Hier wählten darüberhinaus 20 Leute die Nazis von NPD oder „die Rechte“. Die Beteiligung an der Wahl lag am Ostersbaum signifikant unter dem Stadtdurchschnitt (knapp 50%), was den großen Parteien nicht gut getan hat. Es ist der polarisierteste Kommunalwahlbezirk der Stadt. Von der Hälfte der Wahlberechtigten die wählten, wählten 20% die LINKE oder AfD. Der Ostersbaum ist mehr denn je ein Nordstadt-Quartier auf der Kippe.

Die Hochburgen der Rechten finden sich an den beiden Enden der Stadt: Im Westen in Vohwinkel-Ost (9,7%, 403 AfD-Stimmen, 19 Stimmen NPD, 7 Stimmen für „die Rechte“) und -West (10,74% oder 374 AfD-Stimmen, 10 Stimmen für die NPD und 2 für „die Rechte“), sowie ab dem Loh in Richtung Osten. Im Osten Wuppertals konnte die AfD zum Teil dramatisch gute Ergebnisse erzielen (Loh: 11,61%, bzw. 412 Stimmen für die AfD, 16 Stimmen NPD plus 5 Nazis für „die Rechte”). Ähnlich waren die AfD-Ergebnisse in Barmen-Mitte (326 Stimmen, bzw. 10,51%, 15 NPD-Stimmen plus 7 Stimmen für „die Rechte“), sowie am Sedansberg (284 Stimmen oder 10,18% für die AfD, 22 Stimmen für die NPD und 2 „die Rechte“-WählerInnen). Noch übler sieht es in Oberbarmen und Langerfeld-Nord aus. Hier konnte die AfD 13,65% (oder 323 Stimmen) bzw. 12,49% (oder 522 Stimmen) abgreifen. Hinzu kommen 21 bzw. 36 Stimmen für die Nazi-Parteien NPD und „die Rechte“. In beiden Wahlbezirken lag die Beteiligung an der Wahl deutlich unter 50% (in der Stadt gesamt waren es 62%). Weitere Kommunalwahlbezirke, in denen es eine niedrige Wahlbeteiligung gab und die AfD zweistellige Ergebnisse holte, waren Wichlinghausen-Süd und -Nord (10,60%, und 10,76% bzw. 286 und 398 Stimmen, sowie 32 bzw. 23 Stimmen für NPD und „die Rechte“) sowie Nächstebreck und Heckinghausen-Ost (10,35% oder 539 Stimmen für die AfD, 22 Stimmen für die Nazi-Parteien bzw. 11,83%, 420 Stimmen und 26 Stimmen für die Nazi-Parteien). Auch in Heckinghausen-West waren es fast 10% (9,10%). In allen genannten Wahlbezirken lag die LINKE deutlich hinter der AfD, besonders schlimm ist dies in Nächstebreck und Langerfeld.

Insgesamt lässt sich feststellen, dass das Auftauchen der AfD deutlicher als je zuvor macht, dass sich von den „Wohlfühlzonen“ einiger Elberfelder Quartiere niemand blenden lassen darf – es gibt eben auch ein Leben außerhalb des Ölbergs. Auch die zumeist mit einem Kräfteverhältnis von zehn zu eins stattfindenden antifaschistischen Aktivitäten gegen Nazi-Aufmärsche und rechte Kundgebungen sollten nicht zum Irrtum verleiten, sie repräsentierten das Gesamtkräfteverhältnis in der Stadt. Speziell in den als „soziale Brennpunkte“ bezeichneten Quartieren haben sich sehr viele derer die wählen dürfen, vom Parlamentarismus vollständig verabschiedet. Das Ergebnis sind zwar schreckliche Wahlergebnisse für die AfD, doch bedeuten überproportional rechte Wahlergebnisse jedoch nicht, dass dort auch tatsächlich überproportional rechts gewählt würde. Es lohnt sich ein Blick auf die absoluten Zahlen der Stimmen: Davon ausgehend, dass rechte Parteien ihr Klientel zuverlässig an die Wahlurnen gebracht haben, relativiert sich das Bild, die rechten Parteien würden von den so genannten „Unterschichten“ häufiger gewählt als von der „Bürgerlichen Mitte“. Für Oberbarmen ergibt ein um die niedrige Wahlbeteiligung bereinigtes Ergebnis beispielsweise knapp 10% AfD-Stimmen statt der 13,65%, die das Spitzenergebnis in Wuppertal darstellen. Umgekehrt ergäbe sich auf dem gleichen Weg für ein eher bürgerliches Viertel mit überduchschnittlich hoher Wahlbeteiligung wie Cronenberg-Süd auch ein bereinigter AfD-Anteil von knapp 9,5%. Gleichzeitig räumt das auch mit dem Klischee auf, in Vierteln mit besonders hohem Migrationsanteil seien Rechte erfolgreicher.

Und was bedeutet das alles?

Im Gespräch mit Bernhard Sander waren ähnliche Ergebnisse auch für den ersten Wahlgang zur französischen Präsidentschaftswahl festgestellt worden. Die oft gehörte These, es seien vor allem „sozial Schwache“, die den Front National wählen würden, erweist sich auch dort als voreilig, wenn die niedrige Wahlbeteiligung in bestimmten Gegenden berücksichtigt wird. Es ist eine sehr weitgehende politische Abstinenz der Bevölkerung, die rechten Parteien dort oft hohe Ergebnisse bringt – siehe Oberbarmen. Die tatsächliche Verankerung rechter Parteien in der Bevölkerung differiert hingegen weniger als viele meinen; ohne die Erkenntnis, dass die AfD „in der Mitte der Gesellschaft“ ebenso verankert ist wie an ihren Rändern, werden sich wirkungsvolle Strategien gegen den Rechtsruck jedoch kaum entwickeln lassen. Wuppertal wurde auch bei dieser Wahl wieder von der SPD „gewonnen“, und nicht zuletzt die Tatsache, dass die Partei alle drei Direktkandidaten „durchgebracht“ hat, wird ihr den Blick darauf verstellen, wie dramatisch dieser Rechtsruck jenseits ihrer eigenen Abschiebe- und Law and Order-Politik auch in Wuppertal gewesen ist. Das lässt sich am besten an den absoluten Zahlen der Stimmverluste, bzw. -gewinne bei der Wahl ablesen. Insgesamt haben die Parteien „rechts der Mitte“ – also AfD, CDU und FDP – in der Stadt 31.107 Stimmen im Vergleich zur letzten Wahl gewonnen; SPD, Grüne und Piraten verloren hingegen 25.717 Stimmen; mit 8.088 Stimmen weniger haben im Übrigen die Grünen mehr Stimmen verloren als die SPD (- 7.820; Piraten minus 9.809). Auf der anderen Seite konnte lediglich die LINKE mit einem Stimmenplus von 4.336 gegen den Trend abschneiden. Umgerechnet auf das Gesamtergebnis haben die Parteien „links“ von der CDU also im Vergleich zu 2012 roundabout 20% verloren. Das ist jede/r Fünfte.

Damit liegt Wuppertal absolut im Trend aller in diesem Jahr stattgefundenen Wahlen. Sowohl international (Niederlande, Frankreich), als auch in Deutschland (Saarland, Schleswig-Holstein, jetzt Nordrhein-Westfalen), verlieren Sozialdemokraten und links von Liberal-Konservativen angesiedelte Parteien dramatisch. Gleichzeitig zeigt sich bei mehreren liberal-konservativen Parteien ein Drift zum Autoritarismus. Sowohl Macron in Frankreich als neuerdings auch der ÖVP-Jungstar Kurz in Österreich propagieren eine ganz auf ihre Person zugeschnittene Politik, für die sie die Auflösung bisheriger Parteistrukturen in Kauf nehmen. Zur Mitte dieses Wahljahres lässt sich feststellen, dass die Antwort der bürgerlichen Klasse auf die Herausforderung durch Rechte eine Wiederkehr reaktionär-autokratischer Politikkonzepte zu sein scheint. In NRW wird das (möglicherweise in abgemildeter Form), in den nächsten fünf Jahren zu erleben sein. Umso bedauerlicher ist es, dass es für die LINKE zum Einzug in den Landtag nicht reichte, weil gerade einmal 8.561Stimmen gefehlt haben. Allen auch schweren politischen Differenzen zum Trotz wird ein Gegenpol zur AfD im Landtag fehlen. Und die Bedeutung eines „parlamentarischen Arms“, über die wir bei unserer Diskussion viel mit Bernhard Sander gesprochen haben, wird vielen (auch jenen 1.006 Menschen, die dem Spaßfaktor der PARTEI in Wuppertal den Vorzug gegeben haben) sicher noch aufgehen. Während die zu erwartende CDU/FDP-Landesregierung noch skrupelloser als die alte Abschiebungen (auch nach Afghanistan) forcieren wird, wird es erstmals seit sieben Jahren keine frühzeitigen Termine zu beabsichtigten Sammelabschiebungen mehr geben. Auch auf parlamentarische Anfragen wie zum Racial Profiling an Silvester in Köln oder eine kritische Beteiligung an Untersuchungsausschüssen wie dem zum NSU wird verzichtet werden müssen, während die rechte AfD alle diese Möglichkeiten ab sofort hat und für Anti-Antifa-Arbeit nutzen wird. (An dieser Stelle auch ein Danke an einzelne Piraten im letzten Landtag, die vielfach hilfreiche Arbeit gemacht haben.)

Für die radikale Linke bedeuten die Ergebnisse neben des Alarms wegen des Erfolgs für die AfD vor allem eines: Auch in politisierten Zeiten wie in diesem Jahr (in denen die allgemeine Wahlbeteiligung steigt) gibt es in weiten Teilen der Bevölkerung eine völlige Abwendung von „offizieller“ Politik, die tatsächlich in einer schweren Krise steckt. Wo Hipster und Öko-Bourgeois sich einem Schaumschläger wie dem für die Grünen kandidierenden Jörg Heynkes zuwenden, der immerhin 14.756 Stimmen im Tal holte, bleiben in den „sozialen Brennpunkten“ nach wie vor die meisten bei einer Wahl einfach zuhause – die einen, weil sie mangels Pass nicht wählen dürfen, die anderen weil sie offenbar definitiv nichts mehr erwarten. Die radikale Linke weiß seit langem, dass ihre Politik dort, außerhalb der eigenen Wohlfühl-Oase präsent sein müsste, will sie den Rechten nicht mittelfristig das Feld überlassen. In Betrachtung des üblen Rechtsrucks in der Stadt und des Erfolgs der AfD wäre jetzt höchste Zeit, das lange Bekannte umzusetzen. Angesichts der eigenen Verfassung wäre es vermessen zu glauben, die radikale Linke könnte zum Beispiel in Oberbarmen oder in Langerfeld erfolgreich nebenbei intervenieren. In beiden Quartieren muss schon jetzt von einer schlechten Ausgangsposition gesprochen werden. Hier müsste zunächst einmal ein viel intensiverer Kontakt zu den dort lebenden Migranten und Migrantinnen aufgebaut werden, um die drohende Hegemonie rechter Diskurse zu brechen. Doch nebenan vom Ölberg, am Ostersbaum, ist lange nichts entschieden: Das Viertel ist polarisiert und desillusioniert. Eine Konsequenz für die radikale Linke aus den Wahlergebnissen müsste sein, den Kampf um den „anderen Berg” jetzt aktiv zu führen und zu intensivieren.